Am 11. April 2020 wird anlässlich des 75. Jahrestags der Befreiung des KZ Buchenwald die Glocke von Buchenwald läuten.
Wir, ehemalige KZ-Häftlinge und deren Nachkommen und Familienmitglieder sowie Träger der Erinnerung und Bürgerinnen und Bürger, wollten uns zu diesem denkwürdigen Ereignis auf dem Ettersberg versammeln, um zu gedenken, uns zu erinnern und nachzudenken. In Nordhausen und an verschiedenen Orten der Außenlager wollten wir in gleicher Weise zum Gedenken zusammenkommen.
Leider erlauben es die tragischen Ereignisse um die Corona-Virus-Pandemie nicht, unsere Pläne zu verwirklichen.
Die ehemaligen im Lager internierten Häftlinge werden weder im Deutschen Nationaltheater Weimar, wo man sie erwartete, noch auf den Appellplätzen von Buchenwald und Dora präsent sein, sie werden auch nicht an den Begegnungen mit Schülern und Jugendlichen teilnehmen können. Auch die wundervollen Augenblicke der freundschaftlichen Begegnung mit ehemaligen Häftlingen wird es nicht geben. Ihre Stimmen werden nicht zu hören sein. Dabei ist die Präsenz der Überlebenden unverzichtbar, stärkt sie doch erheblich die Tragweite ihrer Botschaft. Ihr Auftreten und ihre Persönlichkeit machten stets jene Seiten der Geschichte lebendig, die schon so weit weg zu sein scheinen.
Die Treffen zum Gedenken boten immer wieder Gelegenheit, sich an Vergangenes zu erinnern und nach Erklärungen für das Geschehene zu suchen. Sie waren gleichzeitig großartige Momente der Wiederbegegnung und der Brüderlichkeit.
Covid-19 hat diese Dynamik durchbrochen. Diese Erkrankung hat unsere Stärken und unsere Schwächen ans Licht gebracht, sie hat uns gezeigt, wie sehr wir einerseits auf uns selbst bezogen und wie stark andererseits unsere humanitären Bestrebungen sind, sie hat uns den paradoxen Widerspruch zwischen der Notwendigkeit, sich selbst zu beschränken, und der großen Energie, die aufgebracht werden muss, um miteinander solidarisch zu sein, vor Augen geführt.
Diese Situation führt uns zu den grundsätzlichen Fragen und eröffnet gleichzeitig neue Perspektiven. Wie wir im Geist des Schwurs von Buchenwald das Mahnen und Gedenken an die Opfer an den realen Orten ihres Leidens gestalten werden, soll im Mittelpunkt unserer Überlegungen stehen.
Vor 75 Jahren verkündete der politische Häftling Hans Eiden in seiner Funktion als Lagerältester: „Kameraden! Wir sind frei!“
Die politische Widerstandsorganisation des Lagers hatte einen bedeutsamen Sieg errungen. Doch in die Freude mischte sich die Trauer um die Opfer, die nicht überlebt hatten. Aus dem Gedenken an sie entwickelte sich über nationale Unterschiede, über verschiedene Weltanschauungen, Kulturen, Lebenserwartungen und vielfältige Meinungsverschiedenheiten hinweg eine alle einbeziehende Zuversicht, die sich im Schwur von Buchenwald artikulierte
„Die Vernichtung des Nazismus mit seinen Wurzeln ist unsere Losung.
Der Aufbau einer neuen Welt des Friedens und der Freiheit ist unser Ziel.“
Diese bedingungslose Verpflichtung wurde zum Vermächtnis.
Das Internationale Komitee Buchenwald Dora und Kommandos ist Träger dieses Vermächtnisses und hat die Aufgabe, es zu bewahren.
Das IKBD handelt im Geist dieses entschlossenen Willens, den Nazismus und den Faschismus zu vernichten. Diese Ideologien führten zu Nationalismus und Diktatur, zur Verherrlichung von Gewalt und Ausgrenzung, zu Hass, Massakern und Völkermord, mit dem Ergebnis eines Vernichtungskrieges.
Im Geist des Schwurs von Buchenwald weisen wir entschieden die ahistorische Gleichsetzung aller „Opfer totalitärer und autoritärer Regime“ durch das Europäische Parlament zurück.
Mit großer Sorge stellt das IKBD fest, dass Einwände, die gegen die kommerzielle Nutzung authentischer Erinnerungsorte vorgebracht wurden, um die historischen Stätten der Außenlager von Buchenwald und Mittelbau-Dora zu bewahren, auf kommunaler Ebene von den Behörden ignoriert wurden. So konnten rechtsextreme Gruppierungen auf dem ehemaligen Hasag-Gelände in Leipzig ein Kampfsport-Trainingszentrum installieren, und die Stadt Mühlhausen erteilte die Genehmigung für die Einrichtung eines Bratwurstmuseums in Mühlhausen in unmittelbarer Nähe von Erinnerungsorten.
Das IKBD achtet und unterstützt die Arbeit der Stiftung Gedenkstätten Buchenwald und Mittelbau–Dora. Es dankt dem Freistaat und den Behörden von Thüringen, der Stadt Weimar und allen Gedenkgremien für ihr moralisches und politisches Engagement.
Das IKBD hat stets – allein oder an der Seite von anderen internationalen Lagerkomitees – den Rassismus, den Antisemitismus und jegliche Stigmatisierung der Sinti und Roma und Migranten verurteilt. Es hat sich gegen den Reflex der Ausgrenzung dieser Menschen aus der Menschengemeinschaft gewandt und verpflichtet sich, diesen Kampf auch in Zukunft weiter zu führen.
Die Erfahrungen aus den dunklen Jahren der NS-Zeit und die Worte der in den KZ internierten Häftlinge haben einen entscheidenden Beitrag zu den wichtigsten Beschlüssen zur Erhaltung des Friedens zwischen den Nationen und für den sozialen und kulturellen Fortschritt geleistet.
Es ist unser Stolz und unsere Pflicht, dies nie in Vergessenheit geraten zu lassen.
Die jüngsten politischen Entwicklungen in Thüringen und in Deutschland insgesamt sowie die Entwicklungen in vielen anderen Ländern Europas, Asiens und Amerikas sind eine große Herausforderung, denn diese Tendenzen haben sich besorgniserregend ausgeweitet. Sie widersprechen zutiefst und grundsätzlich den Werten des Schwurs von Buchenwald.
Die Ursachen und Konsequenzen des Nazismus und Faschismus zu erklären, die Erinnerung an die in den KZ internierten Opfer zu bewahren und ihre Botschaft weiterzutragen ist die Aufgabe des IKBD. Das ist unsere Pflicht, jetzt und in Zukunft, denn auch 75 Jahre nach der Befreiung des Lagers Buchenwald gibt es noch immer keine Welt des Friedens und der Freiheit, der Gerechtigkeit und der Würde für jeden Menschen.
Das Internationale Komitee Buchenwald-Dora und Kommandos